30.01.2020, 15:26
Hallo zusammen,
schon vor Weihnachten überraschte mich meine Frau mit einem Dickschiff von Radio, das plötzlich bei uns im Treppenhaus stand. Es war aus einem Bauernhaus im Nachbarort und die Eigentümerin hatte es in meiner Abwesenheit vorbeigebracht nach dem Motto „ dein Mann repariert doch sowas, er kann ja mal schauen...Wir haben es mal kurz eingeschaltet, es brummt nur noch“
Ich gestehe ein, der äußere Zustand mit abgeblättertem Lack und üblen Verschmutzungen hat mich nicht so wirklich motiviert, mich mit diesem Riesenradio näher zu befassen. Das Radio verbrachte die letzten Jahre im Keller eines Baurnhofes. Jetzt die Bestandsaufnahme.
[attachment=72044]
Innen war alles sehr verstaubt. Tierleichen überall – zum Glück keine Spuren von Mäusefraß. Die Lautsprecher offenbar intakt.
Nach einer ersten groben Reinigung machte ich mich daran, das Chassis zu weiteren Untersuchung auszubauen. Die seitlichen Drähte zu den Türkontakte waren schnell abgelötet. Dann waren irgendwie die Lautsprecherleitungen vom Chassis zu trennen. Ich machte es mir einfach, wenn auch der Schnitt etwas schwer viel. Mit dem Seitenschneider durchtrennte ich an geeigneter Stelle die drei Drähte zu den Lautsprechern. Dann waren die 4 Chassisschrauben und die Schrauben des Bedienteils vorne zu entfernen. Jetzt konnte das Chassis ausgebaut werden.
[attachment=72045]
Nach dem Ausbau zeigten sich weitere Tierfriedhöfe auf dem Chassis und vor allem im Gehäuse. Eine weitere grobe Reinigung mit Pinsel und Staubsauger folgte, damit der Ekelfaktor bei der weiteren Untersuchung nicht zu groß wird. Eigentlich ist das Chassis ein Fall für eine nasse Generalreinigung mit Abbau von Netztrafo und Übertrageren. So etwas macht man aber besser im Sommer im Garten und bei Sonnenschein. Der Zeitaufwand ist aber erheblich und schnell baut man neue Fehler ein. Das Arbeiten an einem dermaßen verdreckten Chassis macht allerdings nicht wirklich Freude.
Weitere Feststellungen:
-Netzschalter unter dem Lautstärkeregler fehlte, Zuleitung überbrückt
-Skalenlampen fehlen
-Seil für die mechanische AM Bandbreitenverstellung gerissen
-Magisches Auge ohne mechanische Befestigung
-Endröhren EL84 verbraucht, ECC83 noch brauchbar.
-Becherelko Siemens hat „Blumenkohl“ am Überdruckaustritt
-mindestens 4 Widerstände, davon 2 im Netzteil, pechschwarz durch Überlastung
-diverse austauschwürdige Papierkondesatoren von Siemens. Stichproben bei der Kapazitätsprüfung zeigten etwa Verdreifachung des Nennwertes. Das lässt auf einen schlechten Zustand der Kondensatoren schliessen. Diese Kondensatoren sind eher schlecht erreichbar unmittelber mit dem Chassis verklebt.
- neben den roten Siemens-Widerständen sind schon zahlreich kleine, braune Widerstände mit Farbringen verbaut. Es handelt sich hierbei offenbar um die eher problematischen Kohlemassewiderstände.
-ohmsche Messungen auf der Primärseite der Übertrager und des Netztrafos zeigten keine offensichtliche Defekte
-der Sockel einer ZF-Röhre wurde ebenso wie ein Widerstand am ZF-Filter bei einer früheren Reparatur erneuert
-nach dem Ablöten des Gleichrichters habe ich das Chassis über Vorschaltlampe an Netzspannung gebracht: die Röhren heizen, Anodenwechselspannung ist vorhanden, der Netztrafo ist also intakt.
Fazit:
Das Gehäuse ist in ziemlich heruntergekommenem Zustand mit Lackfehlstellen und sehr verschmutzt. Um es für das Wohnzimmer tauglich zu machen ist eine Neulackierung erforderlich.
Der Stoff an den Türen ist verschmutzt und eher zu erneuern. Diese Arbeiten möchte ich mir nicht antuen.
Das Chassis muss mit ca. 35 Kondensatoren und Elkos sowie ca. 30 Widerständen überarbeitet werden für einen sicheren Betrieb. Evtl. zeigen sich weitere (gravierende) Fehler erst nach stundenlanger Überarbeitung. Einige Röhren sind zudem zu tauschen. Mechanische und Reinigungsarbeiten kommen noch dazu. Gehäuse bleibt unangetastet, lediglich grob gereinigt.
Ich schätze den Zeitaufwand auf mindestens 10 Stunden für eine grobe Instandsetzung ohne intensive Chassisreinigung. Dazu kommt Material für etwa 60-80 €.
Ich bin mir noch nicht schlüssig, was ich der Eigentümerin raten soll. Ich werde sie wohl erstmal fragen, was sie mit dem Gerät überhaupt vorhat, wenn es mal wieder grob spielen sollte (UKW ein paar Sender, Plattenspielereingang o.K.). Ich weiss auch nicht, ob sie oder ihre Familie die Eigenschaften eines ehmaligen Spitzgerätes zu schätzen wissen. Womöglich landet das Gerät nach einer Reparatur als "olles, vergammeltes Röhrenradio" eh bald wieder in einer Abstellkammer und modert vor sich hin.
In Gedanken spiele ich auch mit der Überlegung, die NF zu vereinfachen und zu reduzieren auf EABC80 und eine EL84. Passender Ausgangsübertrager wäre da.
Was würdet ihr der Frau raten?
Grüße
Frank
schon vor Weihnachten überraschte mich meine Frau mit einem Dickschiff von Radio, das plötzlich bei uns im Treppenhaus stand. Es war aus einem Bauernhaus im Nachbarort und die Eigentümerin hatte es in meiner Abwesenheit vorbeigebracht nach dem Motto „ dein Mann repariert doch sowas, er kann ja mal schauen...Wir haben es mal kurz eingeschaltet, es brummt nur noch“
Ich gestehe ein, der äußere Zustand mit abgeblättertem Lack und üblen Verschmutzungen hat mich nicht so wirklich motiviert, mich mit diesem Riesenradio näher zu befassen. Das Radio verbrachte die letzten Jahre im Keller eines Baurnhofes. Jetzt die Bestandsaufnahme.
[attachment=72044]
Innen war alles sehr verstaubt. Tierleichen überall – zum Glück keine Spuren von Mäusefraß. Die Lautsprecher offenbar intakt.
Nach einer ersten groben Reinigung machte ich mich daran, das Chassis zu weiteren Untersuchung auszubauen. Die seitlichen Drähte zu den Türkontakte waren schnell abgelötet. Dann waren irgendwie die Lautsprecherleitungen vom Chassis zu trennen. Ich machte es mir einfach, wenn auch der Schnitt etwas schwer viel. Mit dem Seitenschneider durchtrennte ich an geeigneter Stelle die drei Drähte zu den Lautsprechern. Dann waren die 4 Chassisschrauben und die Schrauben des Bedienteils vorne zu entfernen. Jetzt konnte das Chassis ausgebaut werden.
[attachment=72045]
Nach dem Ausbau zeigten sich weitere Tierfriedhöfe auf dem Chassis und vor allem im Gehäuse. Eine weitere grobe Reinigung mit Pinsel und Staubsauger folgte, damit der Ekelfaktor bei der weiteren Untersuchung nicht zu groß wird. Eigentlich ist das Chassis ein Fall für eine nasse Generalreinigung mit Abbau von Netztrafo und Übertrageren. So etwas macht man aber besser im Sommer im Garten und bei Sonnenschein. Der Zeitaufwand ist aber erheblich und schnell baut man neue Fehler ein. Das Arbeiten an einem dermaßen verdreckten Chassis macht allerdings nicht wirklich Freude.
Weitere Feststellungen:
-Netzschalter unter dem Lautstärkeregler fehlte, Zuleitung überbrückt
-Skalenlampen fehlen
-Seil für die mechanische AM Bandbreitenverstellung gerissen
-Magisches Auge ohne mechanische Befestigung
-Endröhren EL84 verbraucht, ECC83 noch brauchbar.
-Becherelko Siemens hat „Blumenkohl“ am Überdruckaustritt
-mindestens 4 Widerstände, davon 2 im Netzteil, pechschwarz durch Überlastung
-diverse austauschwürdige Papierkondesatoren von Siemens. Stichproben bei der Kapazitätsprüfung zeigten etwa Verdreifachung des Nennwertes. Das lässt auf einen schlechten Zustand der Kondensatoren schliessen. Diese Kondensatoren sind eher schlecht erreichbar unmittelber mit dem Chassis verklebt.
- neben den roten Siemens-Widerständen sind schon zahlreich kleine, braune Widerstände mit Farbringen verbaut. Es handelt sich hierbei offenbar um die eher problematischen Kohlemassewiderstände.
-ohmsche Messungen auf der Primärseite der Übertrager und des Netztrafos zeigten keine offensichtliche Defekte
-der Sockel einer ZF-Röhre wurde ebenso wie ein Widerstand am ZF-Filter bei einer früheren Reparatur erneuert
-nach dem Ablöten des Gleichrichters habe ich das Chassis über Vorschaltlampe an Netzspannung gebracht: die Röhren heizen, Anodenwechselspannung ist vorhanden, der Netztrafo ist also intakt.
Fazit:
Das Gehäuse ist in ziemlich heruntergekommenem Zustand mit Lackfehlstellen und sehr verschmutzt. Um es für das Wohnzimmer tauglich zu machen ist eine Neulackierung erforderlich.
Der Stoff an den Türen ist verschmutzt und eher zu erneuern. Diese Arbeiten möchte ich mir nicht antuen.
Das Chassis muss mit ca. 35 Kondensatoren und Elkos sowie ca. 30 Widerständen überarbeitet werden für einen sicheren Betrieb. Evtl. zeigen sich weitere (gravierende) Fehler erst nach stundenlanger Überarbeitung. Einige Röhren sind zudem zu tauschen. Mechanische und Reinigungsarbeiten kommen noch dazu. Gehäuse bleibt unangetastet, lediglich grob gereinigt.
Ich schätze den Zeitaufwand auf mindestens 10 Stunden für eine grobe Instandsetzung ohne intensive Chassisreinigung. Dazu kommt Material für etwa 60-80 €.
Ich bin mir noch nicht schlüssig, was ich der Eigentümerin raten soll. Ich werde sie wohl erstmal fragen, was sie mit dem Gerät überhaupt vorhat, wenn es mal wieder grob spielen sollte (UKW ein paar Sender, Plattenspielereingang o.K.). Ich weiss auch nicht, ob sie oder ihre Familie die Eigenschaften eines ehmaligen Spitzgerätes zu schätzen wissen. Womöglich landet das Gerät nach einer Reparatur als "olles, vergammeltes Röhrenradio" eh bald wieder in einer Abstellkammer und modert vor sich hin.
In Gedanken spiele ich auch mit der Überlegung, die NF zu vereinfachen und zu reduzieren auf EABC80 und eine EL84. Passender Ausgangsübertrager wäre da.
Was würdet ihr der Frau raten?
Grüße
Frank