25.04.2020, 11:13
Hallo zusammen,
in der letzten Folge meiner Serie stellte ich hier den Rechteckwellengenerator RWG2 des Herstellers WF Berlin vor. Ursprünglich wollte ich mit diesem Hersteller weiter machen und den Wobbelgenerator WG1 präsentieren.
Ich habe mein Vorhaben ein wenig geändert und möchte mich in diesem und den folgenden Teilen meiner Serie zu den damaligen DDR-Prüf- und Meßgeräten ein wenig einem Oszillografen widmen, der wohl in fast jeder damaligen Werkstatt zu finden war und der bis heute auf Sammler- und Gebrauchtmärkten angeboten wird.
Es ist der Service-Oszillograf EO 1/71.
[attachment=74867]
Gefertigt seinerzeit im damaligen, mit sperrigem Namen daherkommenden VEB Technisch-Physikalische Werkstätten Thalheim/Erzgebirge, kurz TPW.
Eigentlich sollte das ebenfalls nur eine Vorstellung des Oszillografen werden. Aber sein Vorhandensein in offenbar immer noch immenser Stückzahl lassen es wichtig und die zeitlichen Umstände lassen es möglich erscheinen, umfangreicher auf in einzugehen.
Ich meine, freilich; es kann bei einer einseitigen Vorstellung - so, wie bei den anderen Geräten bislang auch - bleiben. Wir können aber diesen Thread gern auch gemeinsam interaktiv entwickeln, falls Interesse besteht, falls Fragen kommen und vor allem, falls Ihr was dazu beizutragen wollt. Dann können wir bestimmt einiges zusammentragen.
Es bliebe nicht nur bei einer Präsentation des Oszillografen, sondern ich möchte ebenso etwas zu seiner Reparatur schreiben.
Der auf dem Bild gezeigte EO 1/71 ist bereits repariert. Er arbeitet verlässlich in meiner Werkstatt. Jetzt möchte ich den EO 1/71a reparieren, d.h. in seiner grundsätzlichen Funktion wiederherstellen:
[attachment=74868]
Er ist gewissermaßen der Bruder des EO 1/71. In einigen Schaltungsdetails unterscheidet er sich zwar von ihm, ist aber im Prinzip bis auf geringe Ausnahmen mehr oder weniger mit ihm baugleich und quasi wesensverwandt. Ihn gab es sowohl mit schwarzer Frontplatte im silberfarbenen, hammerschlaglackierten Gehäuse als auch im hier vorgestellten, modernen Layout. Ich zeige dazu später die Schaltpläne und würde bei Interesse auf die Unterschiede der beiden Geräte eingehen.
Womit beginne ich? Nicht mit Schirm, Charme und Melone, sondern mit Historie, Hersteller und Verwandte:
Los ging eigentlich alles in der einschlägigen Presse im Jahr 1955.
In der damaligen RADIO UND FERNSEHEN Nr. 19/1955 der DDR wurden auf den Seiten 582 - 584 im Artikel "Die Geräte des neuen Standardmeßplatzes" die "Massenbedarfsgüter aus der Kollektivarbeit des staatlichen Großhandels" (Anmerkung MM: der damaligen DDR) beschrieben. Hier tauchte zum ersten Mal der EO 1/70 als Vorgänger des EO 1/71 auf: "Der Serviceoszillograf EO 1/70 eignet sich u.a. für Meßaufgaben der Rundfunk- und Fernsehtechnik sowie der Elektroakustik. Den Instandsetzungswerkstätten, der Industrie und den Schulen wird damit ein relativ billiges aber leistungsfähiges und leicht transportables Gerät geboten."
Angeblich konnte er mit einer 1500fachen Maximalverstärkung im Bereich von 10 Hz bis 4 MHz eine Spannung von 10 mVeff bis 300 Veff in einer Größe von 10 mm abbilden.
Ein EO 1/70 ist mit seinen ECC81 und seiner vergleichsweise noch rundimentär wirkenden Bestückung hier zusammen mit seinem Schaltbild zu finden.
In unveränderter Vorderfront wurde dann ab 1958 aus dem EO 1/70 der Nachfolger EO 1/71, jetzt mit ECC85 statt mit ECC81 bestückt, was ihm eine nun gesteigerte Empfindlichkeit über den Frequenzbereich nebst besseren Arbeitsdaten des Y-Verstärkers bescherte.
Von Anfang an bestückt war diese Generation Oszillografen mit der Bildröhre B7S1:
[attachment=74869]
[attachment=74870]
Neben dem EO 1/71 baute der Hersteller TPW auch ein spezielles NF-Oszilloskop EO 1/76Ta, welches mit seiner blau nachleuchtenden Bildröhre hier zu finden ist. Auch dieses Gerät wird hin und wieder in den Kleinanzeigen immer noch angeboten.
Nicht zu vergessen bzw. unbedingt zu erwähnen ist der hübsche Kleinoszillograf, nämlich das Picoskop EO 1/7. Ich hatte das kleine Gerätchen auch mal. Hier, auf diesem alten Foto meiner einstigen Werkstatt schaute es keck unter dem Schwenkarm der Lampe hervor:
[attachment=74871]
Es ist vergleichsweise zum EO 1/71 relativ simpel aufgebaut und hatte daher gern und oft Schwierigkeiten, den Elektronenstrahl über die X-Achse gleichmäßig abzulenken, was zu Verzerrungen der abzubildenden Kurvenform führte. Das kleine Gerät wird inzwischen zu recht hohen Preisen angeboten und muss sehr gut gewartet werden, will man sich an seiner zufriedenstellenden Funktion erfreuen. Vergleichsweise richtig empfindlich war es nicht, war aber dennoch jahrelang Bestandteil vieler Serviceanleitungen für Rundfunk- und TV-Geräte. Auch das Picoskop fehlte seinerzeit in wohl keiner Werkstatt der damaligen DDR. Bei Interesse: Auch von diesem Oszillografen habe ich seinerzeit den Schaltplan neu gezeichnet und kann ihn hier gern, mit diversen Zusatzinformationen versehen, zur Verfügung stellen.
Abgerundet wird die Serie der röhrenbestückten Einstrahl-Oszillografen aus dem VEB TPW mit dem vergleichsweise komplex aufgebauten EO 1/77U mit seiner Bildröhre B7S3, dem Sioskop, und dem 1967 in der Zeitschrift RADIO UND FERNSEHEN, Nr. 16/1967, vorgestellten EO 1/73, der der Nachfolger des EO 1/71 wurde (siehe hier).
Der EO 1/71 ist in unzähligen Reparatur- und Servicevorschriften für die damalige Radios und TVs aufgeführt. Er war zusammen mit dem EO 1/7 quasi der Universaloszillograf, bis er nach und nach in den Rundfunk- und TV-Werkstätten durch die dann in immer höherer Stückzahl zur Verfügung stehenden Rundfunk- und TV-Selektografen SO80, SO81, SO82 und SO86 (ebenfalls alle vom TPW) ergänzt bzw. abgelöst wurde.
Er hat die vielen Jahre überdauert. Heutzutage findet man ihn oft auch mit abenteuerlichen Bedienknöpfen ausgestattet oder mit einer anderen Kontrollleuchte, wie dieses Foto hier zeigt:
[attachment=74874]
(Quelle: www)
Zum Abschluss dieser ersten Folge vielleicht noch ein Wort zum Sprachgebrauch. "Scope", "Oszilloskop", "Oszillograph"... Es existieren viele Bezeichnungen. Vor Jahren wurde ich einmal in einem anderen Radiobastler-Forum sogar mehr oder weniger unfreundlich darauf hingewiesen, dass das nicht "Oszillograf" heißt. Mein Vorschlag hier: Im Zuge der historisch korrekten Bezeichnung verwende ich das Wort "Oszillograf". Schaut selbst:
[attachment=74873]
In der Literatur sind übrigens alle diese röhrenbestückten Einstrahl-Oszillografen hier zu finden: Rolf Anders, "Schaltungssammlung der Meßgeräte", Militärverlag der DDR (VEB), Berlin 1979, S. 15 - 36. Wobei ich auch hier nicht unerwähnt lasse, dass die dort veröffentlichten Schaltpläne auch bei den Oszillografen durchaus Abweichungen zu den Originalunterlagen des Herstellers haben können.
(wird fortgesetzt)
Gruß Michael
in der letzten Folge meiner Serie stellte ich hier den Rechteckwellengenerator RWG2 des Herstellers WF Berlin vor. Ursprünglich wollte ich mit diesem Hersteller weiter machen und den Wobbelgenerator WG1 präsentieren.
Ich habe mein Vorhaben ein wenig geändert und möchte mich in diesem und den folgenden Teilen meiner Serie zu den damaligen DDR-Prüf- und Meßgeräten ein wenig einem Oszillografen widmen, der wohl in fast jeder damaligen Werkstatt zu finden war und der bis heute auf Sammler- und Gebrauchtmärkten angeboten wird.
Es ist der Service-Oszillograf EO 1/71.
[attachment=74867]
Gefertigt seinerzeit im damaligen, mit sperrigem Namen daherkommenden VEB Technisch-Physikalische Werkstätten Thalheim/Erzgebirge, kurz TPW.
Eigentlich sollte das ebenfalls nur eine Vorstellung des Oszillografen werden. Aber sein Vorhandensein in offenbar immer noch immenser Stückzahl lassen es wichtig und die zeitlichen Umstände lassen es möglich erscheinen, umfangreicher auf in einzugehen.
Ich meine, freilich; es kann bei einer einseitigen Vorstellung - so, wie bei den anderen Geräten bislang auch - bleiben. Wir können aber diesen Thread gern auch gemeinsam interaktiv entwickeln, falls Interesse besteht, falls Fragen kommen und vor allem, falls Ihr was dazu beizutragen wollt. Dann können wir bestimmt einiges zusammentragen.
Es bliebe nicht nur bei einer Präsentation des Oszillografen, sondern ich möchte ebenso etwas zu seiner Reparatur schreiben.
Der auf dem Bild gezeigte EO 1/71 ist bereits repariert. Er arbeitet verlässlich in meiner Werkstatt. Jetzt möchte ich den EO 1/71a reparieren, d.h. in seiner grundsätzlichen Funktion wiederherstellen:
[attachment=74868]
Er ist gewissermaßen der Bruder des EO 1/71. In einigen Schaltungsdetails unterscheidet er sich zwar von ihm, ist aber im Prinzip bis auf geringe Ausnahmen mehr oder weniger mit ihm baugleich und quasi wesensverwandt. Ihn gab es sowohl mit schwarzer Frontplatte im silberfarbenen, hammerschlaglackierten Gehäuse als auch im hier vorgestellten, modernen Layout. Ich zeige dazu später die Schaltpläne und würde bei Interesse auf die Unterschiede der beiden Geräte eingehen.
Womit beginne ich? Nicht mit Schirm, Charme und Melone, sondern mit Historie, Hersteller und Verwandte:
Los ging eigentlich alles in der einschlägigen Presse im Jahr 1955.
In der damaligen RADIO UND FERNSEHEN Nr. 19/1955 der DDR wurden auf den Seiten 582 - 584 im Artikel "Die Geräte des neuen Standardmeßplatzes" die "Massenbedarfsgüter aus der Kollektivarbeit des staatlichen Großhandels" (Anmerkung MM: der damaligen DDR) beschrieben. Hier tauchte zum ersten Mal der EO 1/70 als Vorgänger des EO 1/71 auf: "Der Serviceoszillograf EO 1/70 eignet sich u.a. für Meßaufgaben der Rundfunk- und Fernsehtechnik sowie der Elektroakustik. Den Instandsetzungswerkstätten, der Industrie und den Schulen wird damit ein relativ billiges aber leistungsfähiges und leicht transportables Gerät geboten."
Angeblich konnte er mit einer 1500fachen Maximalverstärkung im Bereich von 10 Hz bis 4 MHz eine Spannung von 10 mVeff bis 300 Veff in einer Größe von 10 mm abbilden.
Ein EO 1/70 ist mit seinen ECC81 und seiner vergleichsweise noch rundimentär wirkenden Bestückung hier zusammen mit seinem Schaltbild zu finden.
In unveränderter Vorderfront wurde dann ab 1958 aus dem EO 1/70 der Nachfolger EO 1/71, jetzt mit ECC85 statt mit ECC81 bestückt, was ihm eine nun gesteigerte Empfindlichkeit über den Frequenzbereich nebst besseren Arbeitsdaten des Y-Verstärkers bescherte.
Von Anfang an bestückt war diese Generation Oszillografen mit der Bildröhre B7S1:
[attachment=74869]
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Neben dem EO 1/71 baute der Hersteller TPW auch ein spezielles NF-Oszilloskop EO 1/76Ta, welches mit seiner blau nachleuchtenden Bildröhre hier zu finden ist. Auch dieses Gerät wird hin und wieder in den Kleinanzeigen immer noch angeboten.
Nicht zu vergessen bzw. unbedingt zu erwähnen ist der hübsche Kleinoszillograf, nämlich das Picoskop EO 1/7. Ich hatte das kleine Gerätchen auch mal. Hier, auf diesem alten Foto meiner einstigen Werkstatt schaute es keck unter dem Schwenkarm der Lampe hervor:
[attachment=74871]
Es ist vergleichsweise zum EO 1/71 relativ simpel aufgebaut und hatte daher gern und oft Schwierigkeiten, den Elektronenstrahl über die X-Achse gleichmäßig abzulenken, was zu Verzerrungen der abzubildenden Kurvenform führte. Das kleine Gerät wird inzwischen zu recht hohen Preisen angeboten und muss sehr gut gewartet werden, will man sich an seiner zufriedenstellenden Funktion erfreuen. Vergleichsweise richtig empfindlich war es nicht, war aber dennoch jahrelang Bestandteil vieler Serviceanleitungen für Rundfunk- und TV-Geräte. Auch das Picoskop fehlte seinerzeit in wohl keiner Werkstatt der damaligen DDR. Bei Interesse: Auch von diesem Oszillografen habe ich seinerzeit den Schaltplan neu gezeichnet und kann ihn hier gern, mit diversen Zusatzinformationen versehen, zur Verfügung stellen.
Abgerundet wird die Serie der röhrenbestückten Einstrahl-Oszillografen aus dem VEB TPW mit dem vergleichsweise komplex aufgebauten EO 1/77U mit seiner Bildröhre B7S3, dem Sioskop, und dem 1967 in der Zeitschrift RADIO UND FERNSEHEN, Nr. 16/1967, vorgestellten EO 1/73, der der Nachfolger des EO 1/71 wurde (siehe hier).
Der EO 1/71 ist in unzähligen Reparatur- und Servicevorschriften für die damalige Radios und TVs aufgeführt. Er war zusammen mit dem EO 1/7 quasi der Universaloszillograf, bis er nach und nach in den Rundfunk- und TV-Werkstätten durch die dann in immer höherer Stückzahl zur Verfügung stehenden Rundfunk- und TV-Selektografen SO80, SO81, SO82 und SO86 (ebenfalls alle vom TPW) ergänzt bzw. abgelöst wurde.
Er hat die vielen Jahre überdauert. Heutzutage findet man ihn oft auch mit abenteuerlichen Bedienknöpfen ausgestattet oder mit einer anderen Kontrollleuchte, wie dieses Foto hier zeigt:
[attachment=74874]
(Quelle: www)
Zum Abschluss dieser ersten Folge vielleicht noch ein Wort zum Sprachgebrauch. "Scope", "Oszilloskop", "Oszillograph"... Es existieren viele Bezeichnungen. Vor Jahren wurde ich einmal in einem anderen Radiobastler-Forum sogar mehr oder weniger unfreundlich darauf hingewiesen, dass das nicht "Oszillograf" heißt. Mein Vorschlag hier: Im Zuge der historisch korrekten Bezeichnung verwende ich das Wort "Oszillograf". Schaut selbst:
[attachment=74873]
In der Literatur sind übrigens alle diese röhrenbestückten Einstrahl-Oszillografen hier zu finden: Rolf Anders, "Schaltungssammlung der Meßgeräte", Militärverlag der DDR (VEB), Berlin 1979, S. 15 - 36. Wobei ich auch hier nicht unerwähnt lasse, dass die dort veröffentlichten Schaltpläne auch bei den Oszillografen durchaus Abweichungen zu den Originalunterlagen des Herstellers haben können.
(wird fortgesetzt)
Gruß Michael