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Wachswalzen-Phonograph American Graphophone Type "Q"
#1
Vor einiger Zeit bekam ich einen Phonographen Type "Q" von der Firma American Graphophone Company.
Das Gerät wurde etwa in der Zeit von 1898-1900 hergestellt.
Die Firma wurde durch James O. Clephane, Andrew Devine und John H. White datiert auf den 28. März 1887 in den Vereingten Staaten gegründet. Sie war der erste industrielle Hersteller von Graphophonen, insbesondere von den daraus abgeleiteten Diktiergeräten zur geschäftlichen Nutzung. [Wikipedia]

Dieser Phonograph muss extrem oft benutzt worden sein, was sich an den sehr stark abgenutzten Zahnrädern und Ritzeln, sowie den ausgeschlagenen Bohrungen für die Lagerung der Wellen zeigte. Vom Wiedergabesystem, dem "Reproducer" fehlten Membrane und Saphirnadel und zwei Blattfedern des Fliehkraftreglers waren gebrochen.
Es ist noch zu erwähnen, dass es damals zu diesem Gerät eine zweite Schalldose gab, den "Recorder", der mit einer scharfen Graviernadel ausgestattet war. Mit diesem Recorder konnten auf unbeschriebenen Wachswalzen, so genannten "Blanks", eigene Aufnahmen geschnitten werden. Eine angetriebene Zugspindel sorgte für den kontinuierlichen Vorschub.
Die Wiedergabezeit pro Walze war auf zwei Minuten beschränkt.

Die vorhandenen Zahnräder waren sägezahnförmig abgenutzt und verklemmten sich gegeneinander. Neue Zahnräder wurden aus 1,5mm starkem Messing und die Ritzel aus 5mm dickem Messing mittels Drahterosion hergestellt. Eine Stahlwelle mit einem einseitigen 2,5mm Durchmesser war so stark eingelaufen, dass sie auch neu angefertigt werden musste.
Ritzel und Zahnräder wurden dann auf etwa 150°C erwärmt und auf die Wellen aufgepresst und sitzen durch die Schrumpfung beim Erkalten absolut fest.
   

Die fehlende Membrane wurde durch eine ca. 0,3mm dicke Glimmerscheibe ersetzt. Ein großes Problem stellte die fehlende Saphiernadel dar. Ist die Ersatznadel zu spitz, zerstört sie die historische Wachswalze, ist sie zu dick und erreicht nicht den Rillengrund, ist die Wiedergabe zu leise. Phonographen arbeiten mit Tiefenschrift, im Gegensatz zu der Seitenschrift (seitliche Nadelauslenkung) bei Schallplatten.
Bisher habe ich noch keine Quelle für originalgetreue Phonographennadeln gefunden, deshalb habe ich mich vorerst mit einer Glasnadel beholfen. In der Flamme eines Proxxon Gasbrenners habe ich einen Glasstift gezogen, abgebrochen und eine Kugel von ungefähr 0,2mm Durchmesser angeschmolzen. Diese Kugel hat eine sehr glatte Oberfläche und erzeugt keinen sichtbaren Abrieb auf der Wachswalze. Eine Dauerlösung ist das nicht, weil bei einem Bruch der filigranen Nadel sofort die Walze zerstört wird.

.jpg   Glasnadel.jpg (Größe: 39,31 KB / Downloads: 238)

Zum Abschluss ein kurzes Video der ersten Inbetriebname:

Gruß Gerald
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#2
Fantastisch, danke fürs Vorstellen.

Wie lange beträgt die Spieldauer einer Walze?
Viele Grüße, Mark

Radioten aller Länder, vereinigt euch!
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#3
(16.02.2022, 21:43)MIRAG schrieb: Wie lange beträgt die Spieldauer einer Walze?

Langspielwalzen 25-30 Minuten, "Singles" bis 3,5 Minuten.
NEIN!
Wo hast Du denn lesen gelernt und warum nicht? Wink

(16.02.2022, 21:03)Gerald-G schrieb: Die Wiedergabezeit pro Walze war auf zwei Minuten beschränkt.

Tolles Gerät davon ab sowas würde mir auch noch gefallen. Bloß hätte ich nicht ansatzweise die Möglich- und Fähigkeiten, das so zu reparieren, Respekt.
Gruß,
Uli
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#4
Ohja, großer Haben-Will Faktor! Tolles Gerät und eine sehr herausfordernde Instandsetzung. Glückwunsch zu dem schönen, historischen Zeitzeugnis.

Geht das nicht auch mit Bambusnadeln?
~~~Es gibt nichts Gutes, außer man tut es (Erich Kästner)~~~
Die einzige, falsche Entscheidung die du treffen kannst ist, keine Entscheidung zu treffen.
Ich bin nicht DICK, ich bin nur zu KLEIN für mein Gewicht  Big Grin
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#5
Oh mann, Waldorfschule, da haben wirs wieder...

Irgendwie muss ich bei "Blanks" aufgehört haben, zu lesen.
Viele Grüße, Mark

Radioten aller Länder, vereinigt euch!
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#6
(16.02.2022, 23:29)Anton schrieb: Geht das nicht auch mit Bambusnadeln?

Nein, die Nadel muss eine polierte Oberfläche und einen definierten Spitzenradius haben. Bedenke, die Walze besteht nur aus einer etwas härteren Wachsmischung und sollte im Originalzustand mindestens 100-150 Abspielungen überstehen.
An einer gut erhaltenen Walze habe ich mit einer Messlupe den notwendigen Spitzenradius von 0,1mm ermittelt. Im Internet konnte ich bisher keine verbindlichen Aussagen zu den damals üblichen Nadelabmessungen finden. Ich werde meine "Glasziehtechnik" noch etwas optimieren, für einige wenige Vorführungen sollte das genügen.
Gruß Gerald
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#7
Schalldose jetzt mit echtem Saphir.

   

Von einer "modernen" Nadel , 120µm spärisch für 78er Schelllackplatten habe ich den Saphir herausgelöst. Dann einen 1,2mm Kupferdraht stirnseitig mit einer 0,6mm Bohrung versehen, den Saphir eingeklebt und den Kuferdraht entsprechend der Bohrung in der Aufnahme der Schalldose gekürzt. Das dann wiederum mit Sekundekleber eingeklebt.


.jpg   Saphir_in_Kupferrohr.jpg (Größe: 10,33 KB / Downloads: 86)

Entgegen meiner selbst gezogenen Glasnadel ist kaum eine Verbesserung eingetreten, das liegt allerdings an den stark abgenutzten 120 Jahre alten Wachswalzen.
Mal schauen, im Ebay Frankreich werden noch häufig 2 Minuten-Walzen für moderate Preise angeboten.
Gruß Gerald
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#8
Das war bestimmt eine ganz elendige Fummelarbeit! Aber es hat sich gelohnt.
~~~Es gibt nichts Gutes, außer man tut es (Erich Kästner)~~~
Die einzige, falsche Entscheidung die du treffen kannst ist, keine Entscheidung zu treffen.
Ich bin nicht DICK, ich bin nur zu KLEIN für mein Gewicht  Big Grin
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#9
Ja Anton, mit starkem Halogenlicht, Lupenbrille, Pinzette und einer umrahmten Arbeitsfläche, damit mir das 2x0,5mm Teil nicht wegfliegt.
Ich habe selbst über meine noch vorhandene Feinmotorik gestaunt.
Gruß Gerald
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