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Überholung eines Notradios
#1
Hallo Freunde,

bereits noch im alten Jahr schrieb mich unser Karl-Heinz an. Ich möchte mir vom Chris ein Notradio kaufen. Das tut mir Leid, keiner will das "häßliche Entlein". Wer mich kennt, der weiß das. Ich mag an sich diese spartanischen Radios nicht. Trotzdem machen die mich immer neugierig. Ich möchte gerne wissen, wie sind die aufgebaut. Was hat der Bastler oder die Radiofirma gemacht, um die wenigen, verfügbaren Bauteile zu einer funktionierenden Einheit zusammen zu bringen und was leistet solch ein Radio. Nun, der Karl-Heinz ist mein Freund, ich kenne ihn lange. Also sagte ich zu. Das Paket vom Chris kam dann ein paar Tage später. Ich packte das Gerät aus - und stellte es ins Regal. So viele unfertige Baustellen waren gerade in Arbeit. Das Radio und auch der Karl-Heinz mußten warten.

Vor ca. 2 wochen sagte ich zu mir, achja, das Entlein wartet ja auch noch. Meine anderen Baustellen warteten auch - aber Bauteile waren noch nicht eingetroffen. So kam dann das Gerät auf meinen Basteltisch.
Das Gehäuse selber erschien zunächst noch einigermaßen "tragbar". Ein Notradio halt. Das Furnier war an vielen Bereichen wellig. Es schien wohl an Leim gespart worden zu sein. Aber dazu dann mehr.

Interessant, wie wird das Gerät von innen aussehen. Oha, man findet eine äußerlich gut erhaltene VEL11. Leider ist der Gitteranschluß abgerissen. Hintergrund: Die schwere Abschirmkappe hat durch die Erschütterungen auf dem Transport den Nippel vom Kopf der Röhre abgerissen. gut nur, es war nur der Nippel und der Anschlußdraht hatte auch noch seine originale Länge. Es hätte anders kommen können.

Die Neugier trieb mich, na wie werden die beiden Röhren, die VEL11 und die VY2 auf dem Röhrenprüfgerät angezeigt?  Wenn man unter das Chassis sieht, dann fallen da 2 Netzelko's in Papphüllen auf. Verdammt, das hatten wir doch schon mal VY2 gepaart mit Pappeleko's. Am Röhrenprüfer dann das große Staunen. Sowas hatte ich noch nie: Die VY2 hat wirklich beste, elektrische Werte. Leute, die ginge als neu durch! Genauso die VEL11. Alles im Gut-Bereich. Also schauen wir zunächst mal weiter das Chassis an.

Ich fragte mich nun, wer hat das gebaut? Eine Firma nach dem Kriege? Ein findiger Bastler. Es gibt ja solche und solche Bastler. Ich denke an z. b. Moschti. Ja, der hätte mechanisch solch ein Chassis gebaut. Viele andere von euch sicher auch. Ich....niemals. Ich habe das in jungen Jahren mal versucht. Seitdem nicht wieder!! Klar, wenn man ein Rohchassis hat, mit der Technik sieht das dann anders aus.

Dieses Chassis hier wurde aber wohl extra neu konzipert. Die Verarbeitung ist feinmechanisch doch sehr gut. Es ist auch kein Chassis, das von einem anderen Gerät entkernt und neu bestückt wurde. Macht Euch mal ein Bild. Eure Meinung zu dem Gerät interessiert mich. Vielleicht eine Kleinserie, so wie das in Frankreich gemacht wurde?

Schaut man auf die Skala so fallen sendernamen wie Königsberg 1 und 2 auf. Breslau ist auch noch verzeichnet. Auch hier kann man streiten. Ist die Skala unmittelbar nach 1945 entstanden. Wurden die alten Sendernamen vielleicht noch aufgeführt oder ist es eine schon vorhandene skala, die weiter verwendet wurde. Also alles Spekulation.

Interessant hinter dem Skalenaufbau befindet sich eine Platte aus Hartfaser-Schrankpappe.

Die Neugier steigerte sich. Es wurden zunächst die Pappelko's ausgehöhlt und neue Elko's verbaut. An der Schaltung selber wurde etwas gebastelt. Ich hatte die mir geläufige Schaltung wieder hergestellt. Stichwort: Gittervorspannungserzeugung - Halbautomatik. Nach dem Prüfen der weiteren Bauteile (Widerstände), Röhrenfassungen unsw, wurden Reinigungsarbeiten durchgeführt. Die Tropenfesten, keramischen kondensatoren waren noch werthaltig und konnten verbleiben.

Ach und dann.... Die meisten von uns wissen, dass die VY2 die meist gesuchte Röhre ist. Diese Röhren haben gelitten. Im DKE wurden damals aus Spargründen Pappelko's verbaut. Noch vor 1945 waren die Dinger ausgetrocknet, die Kapazität dahin. Wenn man glück hatte, brummte der DKE. Hatte man Pech, dann hatten die Kondensatoren einen Schluß. Die Sicherung löste nicht aus - und der feine Zuleitungsdraht zur Kathode verglühte. Von außen ist da nichts machbar. Solche VY2 bekommt man sehr oft. Man überlötet sie halt unter dem Chassis mit einer kleinen Diode und einem Schutzwiderstand in Reihe. Die gute Röhre vom Karl-Heinz habe ich mit einem Schutzwiderstand von 330 Ohm zur Anode versehen.

Nun, jetzt wollte ich aber auch mal was hören! Und ich hörte. Das Gerät spielt außerordentlich gut. Ich war erstaunt. Allerdings war da irgendwo ein Wackelkontakt. Der trat auf, wenn man die Lautstärke und die Rückkopplung betätigte. Der Gerät hat sog. Schwenkspulen. Mit Seilzügen werden geweils 3 Spulen auf Pertinaxplatte bewegt. Tja und schon sah ich die Ursache. Von den beweglichen Spulen gehen dünne Zuleitungsdrähte zu den Lötpunkten. Über die vielen Jahre sind diese Isolierungen verhärtet und die dünnen Litzen in den Gummiüberzügen sind steif wie Draht. Durch die Bewegungen der Spulen brechen die Lötstellen. Ich hebe mir immer die alten Telefonschnüre auf. Hierin befinden sich dünne, feine, hochflexible. Ergebnis, das Radio spielt. Karl-Heinz wird seine Freude haben. Es gibt weiter nichts nachzubessern.

Beim Gehäuse galt es Kompromisse zu finden. Der Karl-Heinz schrieb mir, wehe überrestaurierst Du das. Ich wollte das Gehäuse wenigstens etwas hübscher machen. Mir schwebte vor, auf dem Gehäuse das gewellte Furnier mit Wasserdampf zu erhitzen und dann anzuheben. Danach wäre Pressen angesagt. Nun ist die Problematik gewesen. Hebe ich das Furnier an, verleime das. Dann kann es passieren, dass sich die Leime nicht vertragen. Dann ist das Originalfurnier veraut und man müßte neues verleimen. Dann wäre ich beim Überrestaurieren. Wie bekommt man solche Wellen, zumindest einigermaßen weg. Ich mische Ponal mit Wasser. Diese Mischung ziehe ich auf eine Injektionsspritze, stecke eine Kanüle drauf. Dann stecke ich die Kanüle in die Furnierfalte ... und drücke  .... immer fester .... und ... die Kanüle fliegt wie immer ab, und ich habe das weiße Zeug "in der Fresse"! So soll das nicht sein. Unsere Freunde hier im Forum unterhielten sich mal über die SMD-Technik. Da sind Spritzen erforderlich, weil Lötpaste??? verarbeitet werden muss. Die kennen wohl auch die Problematik - und siehe da, die verwenden Spritzen an denen man die Kanülen anschrauben kann. Und ich verwende die auch. Die Kanülen gibt es in unterschiedlichen Dicken. So geht es dann. Hier beim Gehäuse war es dann so, dass ich die Wellen einigermaßen beseitigen konnte. Trotzdem habe ich die Wellen oben auf dem Gehäuse nicht ganz weg bekommen.

Die Wellen an der Vorderfront habe ich besser weg bekommen. Hier habe ich auch gespritzt. Nun kam ich zum Lack. Wenn solch ein Gehäuse die Spuren vergangener Jahre behalten soll, dann schleift man den Altlack an. Dann reibe ich das Furnier mit Walnussöl ab. Das Zeug ist absolut dünnflüssig und läßt das Furnier lebhafter aussehen. Danach gebe ich einige Aufträge Hartöl auf das Holz. Hier sei zu erwähnen: Die Überstände vom Auftragen sollen vor dem Trocknen mit einem weichen Tuch weg poliert werden. Sonst wird die Oberfläche klebrig.

Na, neugierig geworden?

Dann hier einige Bilder.

   

Hier das Radio von vorne. Es besitzt 3 VE-301 Knöpfe

   

Hier die Skala mit besagten Sendernamen. Abgedeckt ist sie durch eine Glasscheibe

   

Die Rückwand - nicht schön, aber selten.

   

Ansicht von innen. Die beiden Röhren... Wertvoller als das ganze Radio!
Achso schaut mal hinten, das ist Schrankpappe.

   

Die VEL11 leider ist der PIN ab. Trotzdem noch Glück im Unglück.

   

Die Ansicht von unten. Viel ist nicht zu tun. Die Pappelko's werden neu befüllt.

   

   

   

Hier mal die Schwenk-Kreise. Toll gemacht. Auch Kurzwelle funktioniert.

   

Entkernen der eingetrockneten Elko's. danach Neuteile!!

   

die tropenfesten Kondensatoen sind alle i. O. und verbleiben an ihrem Platz

   

Diese SMD-Spritzen sind für Furnierbeulen am Besten.

Ja, ich werde euch dann über die Abschlußarbeiten informieren. Wenn der Karl-Heinz dem Gerät eine Antenne spendiert, wird  er sich Abends wundern, wie gut das Gerät als Einkreiser empfängt.
Es grüßt Euch aus Peine
     
     Andreas
Nicht nur die Röhren sollen glühen.
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#2
Einwandfrei ! Das macht Freude Deinem Reparatur- / Restaurierungs-Bericht aufmerksam zu folgen - und dass ich mit den Röhren soviel Glück hatte - um so erfreulicher !
Als Antenne habe ich ca. 12 m langes dickes Lautsprecher-Kupfer-Kabel verfügbar - da werden die Wellen eingesogen werden wie von einem "schwarzen Loch" ( Späßlein ) - ich werde berichten.
Bis dahin weiterhin viel Erfolg und gutes Gelingen (!) - ich freu mich schon auf das "hässliche Entlein" mit der interessanten Skala und dem dann funzenden Innenleben in aufgefrischtem Gewand ! Radios aus dieser Zeit, kurz nach Kriegs-Ende bis frühe Fünfziger, eben Not-Radios , interessieren mich seit jeher besonders, weil hier mit Pragmatismus, Erfindergeist, handwerklichem Geschick und profundem Wissen funktionierende Radios "zusammenkonstruiert" wurden, so manches mal auch nur von relativen HF-Laien, vielen Nöten gehorchend und allein das vorgefundene Material konnte verwendet werden.
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#3
Interessante Kombination: Skala mit RIAS, aber ohne AFN, BFN und dazu ein VEB Pappelko.
Beste Grüsse

Thorsten


"Das Leben ist nichts weiter als das Proben für eine Vorstellung, die niemals stattfindet."

(Die fabelhafte Welt der Amelie)
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#4
Klasse Karl-Heinz und Andreas! Zum einen wegen der Rettung eines seltenen Gerätes und zum anderen wegen der Reparatur und der schonenden Restaurierung. So hässlich finde ich das Entlein auch gar nicht, die äußere Hülle hat dann doch viel Ähnlichkeit mit Geräten bekannter Hersteller. Sachlich und funktional, nach dem Motto "Form folgt Funktion". Eigentlich sogar ein recht niedliches Radio, würde mir auch gefallen. Und auch hier bestätigt sich mal wieder: Einfach muss nicht schlecht sein!
~~~Es gibt nichts Gutes, außer man tut es (Erich Kästner)~~~
Die einzige, falsche Entscheidung die du treffen kannst ist, keine Entscheidung zu treffen.
Ich bin nicht DICK, ich bin nur zu KLEIN für mein Gewicht  Big Grin
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#5
Ein interessanter Teilemix !  Dank des großen Lautsprechers der Magnetfabrik Dortmund dürfte, sofern der AÜ gut für die VEL11 gewählt ist, einiges an Leistung möglich sein, jedenfalls deutlich mehr als "DKE"-Niveau.
Sehr erfreulich, dass auch sowas wieder zum Leben erweckt wird.
_____________

Gruß
klaus


Was ich geschrieben habe, darf widerlegt werden.
Was ich nicht geschrieben habe, braucht nicht widerlegt zu werden.


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#6
...ein interessantes Gerät, ein Zeitzeuge, versehen mit einem spannenden Bericht.

Und Glück muss man haben, dass die doch recht seltenen Röhren noch intakt sind (das mit der Kappe kann man reparieren)...

Viele Grüße,
Rolf
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#7
Hallo zusammen,

ein Gerät mit sehr ähnlichem Aussehen, allerdings mit UEL51 und Selengleichrichter bestückt, habe ich auch in meinem Fundus.
Bei meinem Gerät stammen Spulensatz und Rückkopplungsdrehko aus dem DKE, der Abstimmungsdrehko samt Skalentrieb von einem anderen Gerät.


Viele Grüße

Martin
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#8
Hallo Andreas,
tolle, informative Restauration, und toll dass das Radio wieder spielt.
Schöne Grüße,
Thomas
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