Themabewertung:
  • 1 Bewertung(en) - 5 im Durchschnitt
  • 1
  • 2
  • 3
  • 4
  • 5
Mikrohet W, der Staßfurter Super von 1929
#1
Die Markteinführung des Mikrohet war recht erfolgreich, jedoch gab es einen großen Mangel, der die unzureichende Langzeitstabilität der gekapselten ZF-Filterkreise betraf. Außerdem stieg ab 1928/29 der Bedarf an netzspannungsbetriebenen Empfängern und das Bakelit als synthetisches Material für die Gehäuse wurde immer populärer.

Das ZF-Problem wurde für die damalige Zeit auf Basis eines Patentes von Alexander Nissen genial gelöst. Darauf werde ich im Detail später noch eingehen.
Die im ersten Mikrohet für Oszillator und Mischung verwendete RE074d ist eine Raumladegitterröhre mit sehr unterschiedlichem Aufbau der beiden Gitter und eigentlich nicht für die hier benötigte Funktion geschaffen.
Ein Ersatz, möglichst indirekt beheizt, für Netzbetrieb war Anfang 1929 noch nicht verfügbar.
Die Staßfurter wandten sich, entsprechen Aussage eines Zeitzeugen, mit Ihrer Aufgabenstellung direkt an Telefunken, wo daraufhin die REN704d entwickelt wurde.


.jpg   MIkrohet W_Katalobild.jpg (Größe: 39,54 KB / Downloads: 379)

Für Kunden, die leider noch nicht mit Lichtstrom versorgt wurden, gab es auch eine Batterievariante im gleichen Gehäuse, bei dem der Netzteilblock durch herausgeführte Batterieleitungen ersetzt wurde. Als Mischröhre kam hier weiterhin die RE074d zum Einsatz.

   

Restaurierung eines Mikrohet W

Ausgangszustand:
- Fehlende Bodenplatte
- Fehlende Rahmenantenne
- Blockkondensator 1+1µF fehlte
- Alle einzuklemmenden Widerstände und Kondensatoren fehlten
- Dralowid Lautstärke-Poti fehlte
- Kippschalter Lang/Kurz fehlte
- Verlängerungsspule zur Absenkung der Oszillatorfrequenz für Langwelle fehlte
- Spannungsteiler Drahtwiderstand mit gerissenen Drähten
- Fehlende Gittervorspannungsbatterie
- Netzkabel mit Schnurschalter fehlte
- In Pappe gekapselte ZF-Kreise verzogen

Glücklicherweise kenne ich einen Besitzer eines weiteren Mikrohet und konnte alle erforderlichen Fotos, Abmessungen und Bauteilinformationen für die Restaurierung bekommen.

Unrestaurierter Zustand

       

Als Erstes baute ich die beschädigten ZF-Kreise aus, öffnete sie und schuf mir mit Holz und Gießharz Stempel und Matrize um die verzogenen wachsgetränkten Pappschalen zu richten. Dazu presste ich sie in die Form und erhitzte das Ganze in der Backröhre auf 70°C. Nach dem Abkühlen waren die Teile wieder gut in Form.


.jpg   Mikrohet_ZF_Vorrichtung.jpg (Größe: 45,92 KB / Downloads: 380)

Sehr erstaunt war ich darüber, was ich in den Papphüllen vorfand. Dies sollen Schwingkreise sein? Ausschließlich Drahtwicklungen in Paraffin getränkt, kein Kondensator.


.jpg   Mikrohet_ZF_innen1.jpg (Größe: 118,16 KB / Downloads: 380)

Die „Stassfurter Imperial Chronik“ von Conrad H. Von Sengbusch nennt ein patentiertes Verfahren, nach dem Spule und Kondensator gewickelt, abgeglichen und in Paraffin vergossen werden.
Dieser Umstand veranlasste mich zu einer Patentrecherche, doch dazu später mehr.


Jetzt wurden schrittweise alle offenen Punkte abgearbeitet.
Alle geklemmten Widerstände und Kondensatoren eingesetzt, einen passenden Blockkondensator mit 2x 1µF neu befüllt und eingebaut. Das 10kOhm Dralowid Lautstärkepoti ergänzt.
Den 15kOhm Drahtwiderstand mit Anzapfungen musste ich in Teilabschnitten neu bewickeln

   

Ein exakt baugleicher Umschalter für Lang- und Mittelwellempfang fand sich in meinen „gesammelten Werken“.
Die Wellenbereichsumschaltung ist so, wie ich es schon beim ersten Mikrohet beschrieben habe. Zusätzlich wird hier noch eine kleine Verlängerungsspule für den Feinabgleich des Langwellenbereich verwendet. Diese habe ich entsprechend Foto vom Original nachgefertigt.

Original
   

Nachfertigung
       

Nun kam der Netzteilblock an die Reihe. Hier gab es keine Besonderheiten, lediglich der Kondensatorblock wurde neu befüllt und Netzkabel mit Schnurschalter ergänzt.

       

Es handelt sich hier um ein frühes netzbetriebenes Gerät und die Siebmittel gegen den Restbrumm waren begrenzt. Aus diesem Grund haben die Staßfurter, so wie auch schon bei ihrem Zweikreiser „Standard 4“ eine zusätzliche Gitterbatterie vorgesehen, die etwa einmal im Jahr gewechselt werden musste. Als Ersatz habe ich ein kleines Gehäuse hergestellt und mit 3 1,5V Batterien befüllt und mit 3mm Buchsen für die bunten Batteriestecker versehen. Demnächst bekommt die Batterie noch eine bedruckte „Pertrix“-Verkleidung.

   

Eine Übersicht zur Lage der Bauelemente

   

Der“ Mikrohet W“ kann sowohl mit Antenne und Erde als auch mit einer Rahmenantenne betrieben werden.
Für Antenne und Erde hat das Gerät einen Aufsatz, der einen „Lang-Kurz“ umschaltbaren Antennkoppler beinhaltetet und gleichzeitig die Röhren abdeckt.

   


.jpg   d_stassfurt_mikrohet_w_offen.JPG (Größe: 56,5 KB / Downloads: 381)
.jpg   d_stassfurt_mikrohet_w_front.JPG (Größe: 49,87 KB / Downloads: 379)

Wahlweise wird dann am Radio der Koppler oder die Rahmenantenne gesteckt.

Den größten Aufwand bereitete der originalgetreue Nachbau der Rahmenantenne.
Alle Holzteile habe ich wie beim Original aus Eiche hergestellt, mit einer Mischung aus Clou Holzbeize Eiche mittel und Mahagoni dunkel behandelt und mit Schellack gestrichen.
Die umflochtene Antennenlitze habe ich von einer französischen Rahmenantenne abgenommen.


.jpg   Mikrohet_W_1930_Rahmenantenne_Detail.jpg (Größe: 92,16 KB / Downloads: 380)

Im unteren Holzkreuz befindet sich der Umschalter „Kurz-Lang“, der von der Unterseite mit einer tiefgezogenen Messingkappe abgedeckt ist. Mit der Messingkappe ist ein Rohr vernietet, mit dem die Antenne drehbar auf das Radio aufgesetzt werden kann.
Diese Kappe habe ich aus einem massiven Messingklotz in zwei Bearbeitungslagen herausgefräst.

   

   

Jetzt konnte die abschließende Inbetriebnahme erfolgen. Messungen ergaben, dass die ZF-Mittenfrequenz nach mehr als 90 Jahren exakt 120kHz beträgt, die 3db ZF-Breite etwa 4kHz.
In den Abendstunden sind mit Rahmenantenne etwa 15 europäische Sender zu empfangen.


Hier nun noch einige Ausführungen zum Nissen-Patent.

   

   

Nachdem ich die Patentschrift von Alexander Nissen bei der Internet Recherche gefunden habe, wurde sie von Dietmar Rudolf (DIRU) im Radiomuseum.org kommentiert:

Imperial Bandfilter

Spule und Zweidrahtleitung als verteilte Kapazität wurden gewickelt und in Paraffin vergossen. Dann in einem Messaufbau die beiden kapazitätsbildenden Drähte so lang abgewickelt, bis die Resonanzfrequenz stimmt und die Drähte abgekniffen.

Bis Mitte der 30er Jahre wurde dieses Verfahren in allen Imperial-Geräten angewandt.

   

Mit Einführung der Ferrite in der Rundfunktechnik waren mit einfacheren Mitteln hohe Schwingkreisgüten und leichte Abgleichbarkeit zu erreichen.
Gruß Gerald
Zitieren
#2
Hallo, Gerald,
es ist eine Freude deine Berichte zu lesen!
Für mich beinhalten sie Fakten, die mir bisher nicht bekannt waren und für mich sehr interessant sind.
Vielen Dank!
Gruß,
Ivan
Zitieren
#3
Die Bedienungsanleitung des Mikrohet W im PDF-Format.


Angehängte Dateien
.pdf   Mikrohet-W_Bedienungsanleitung.pdf (Größe: 3,08 MB / Downloads: 14)
Gruß Gerald
Zitieren
#4
Hallo Gerald,

danke fürs Zeigen und für der guten Beschreibung der Funktion des Gerätes

und dann, der tolle Nachbau der Rahmenantenne,

Was mich wundert, dass man die RE134 im ZF-Verstärker verwendet hat und nicht die RE034

und die in dieser Zeit noch übliche Trafo-Kopplung schon durch eine moderne Widerstandskopplung ersetzt hat...

Viele Grüße,
Rolf
Zitieren
#5
Hallo Rolf,

die R/C-Kopplung von NF-Verstärkern wurde spätestens schon ab 1926 mit den Röhren R054 in vielen Geräten angewandt.
Nur ein Beispiel ist der Blaupunkt B7. Auf Grund der relativ großen Bandbreite gegenüber einem Audion kurz vor dem Rückkopplungseinsatz kann die NF mit der R/C-Kopplung linearer und qualitativ hochwertiger übertragen werden.
Über den Einsatz der RE134 mit -4,5V Gittervorspannung in den ZF-Stufen habe ich auch gegrübelt. Zum Ersten sind die 120kHz ZF sehr niederfrequent und in den Telefunken Datenblättern wird sie auch als gut geeignet für Quarzoszillatoren genannt.
Es könnte auch mit dem Röhren-Innenwiderstand in Kombination mit den ZF-Filtern zusammenhängen. Die RE034 ist mit Ri=21kOhm, die RE134 mit nur 5kOhm angegeben.

Ich würde hier gern eine Vermutung äußern, die durch einen Fachmann verworfen oder bestätigt werden kann.
Folgender Gedanke, infolge der Kopplung der ZF-Filterkreise zur Abflachung der Übertragungskurve auf eine Breite von 4kHz wird die Güte der Kreise und damit der Resonanzwiderstand verringert. Damit wäre eine Röhre mit geringerem Ri besser angepasst.
Gruß Gerald
Zitieren
#6
Hallo Gerald, 
Ich schreibe nur.
Absolut KLASSE geworden. 
Einfach nur KLASSE :-)

Mit freundlichem Gruß Heiko
Zitieren
#7
Hier der "Mikrohet W" beim Empfang des Senders "Absolut Radio" auf Mittelwelle 1.215 kHz in den frühen Morgenstunden.
Mein Dank geht an Helmut (oldtvi), der mich auf diesen noch aktiven Mittelwellensender aufmerksam gemacht hat.

Gruß Gerald
Zitieren


Möglicherweise verwandte Themen…
Thema Verfasser Antworten Ansichten Letzter Beitrag
  Das Staßfurter "Graf Luckner Radio" Gerald-G 17 2.334 24.07.2022, 15:29
Letzter Beitrag: Gerald-G
  Mikrohet, der erste Staßfurter Superhet Gerald-G 7 1.255 06.07.2022, 12:06
Letzter Beitrag: Gerald-G
  Telefunken Super "Zeesen" T875 WK und Super 3975 WKS RadioPiet 37 9.381 17.08.2021, 20:27
Letzter Beitrag: RadioPiet
  Telefunken: eine Arcolette 3W von 1929 auf der Werkbank klausw 23 19.831 24.04.2016, 15:57
Letzter Beitrag: klausw
  Lenzola Hornlautsprecher von 1929/30 anton 4 4.848 31.12.2014, 12:58
Letzter Beitrag: Kellerkind

Gehe zu: