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SABA Kristall W (1949/50)
#1
Hallo zusammen!

Ein SABA Kristall W wurde hier noch nicht vorgestellt. Da mir vor kurzem ein solches Gerät als Geschenk zugegangen ist, möchte ich das nachholen. Neben der Präsentation gewinnen wir vielleicht noch ein paar Erkenntnisse bzw. Tips für Nachahmer, denn ich will das Gerät wieder zum Funktionieren bringen. Außerdem soll das Gehäuse nachpoliert werden.


Erst mal die Stammdaten:

Schaltungsprinzip ............ 5-Röhren-Super
Hersteller .......................... SABA Villingen (Schwer und Söhne GmbH)
Herstelljahr ...................... ab November 1949/50
Seriennummer ................. 87095 (ca. Oktober 1950)
Anzahl Kreise ..................  7 Kreise AM
Wellenbereiche ................ LW 150 ...400 kHz, MW 500 ... 1600 kHz, KW 16 ... 52 m
Ausstattung .................... ZF-Antennen-Sperrkreis 487 kHz, 3fach ZF-Bandfilter mit Bandbreitereglung, Schwundausgleich, NF-Transformator-Gegenkopplung, Sprache-Musik-Schalter,   Tonblende, 9-kHz-Sperre, Abstimmröhre, Schwungradantrieb, UKW-Vorbereitung
Spannungsversorgung .. Wechselstrom 110 bis 240 Volt
Röhren .............................. ECH11, EBF11, ECL11, EM11, AZ11
Leistungsaufnahme ........ ca 49 Watt
Abmessungen (BxHxT) .. 53 x 387 x 37 cm, ca. 13 kg
damaliger Preis ...............  425,-DM (incl. Röhren)
ähnliche Typen ................ SABA S-357W (1939), Triberg W 51, Juwel

Prospekte aus der Zeit kurz nach der Währungsreform sind rar und schlicht aufgemacht:


.jpg   iSABA_Kristall_W_prospekt.jpg (Größe: 107,47 KB / Downloads: 578)

Neuanfang mit Altbekanntem

Nimmt man die Rückwand dieses Geräts ab, denkt man auf den ersten Blick, einen SABA-Vorkriegs-Super vor sich zu haben. Neben dem aus den späten Dreißigern bekannten Chassisaufbau aus dickem, lackiertem Blech mit vielen Gleichteilen wurden das Drehko-Aggregat und das Netzteil samt Netzanschluß und AZ11 als krönender Abschluß unverändert übernommen.

Der verwendete Röhrensatz ist eine Ende der 30er beliebte Kombination für einen Mittelsuper. Von der Schallwand grüßt der bekannte DW42 mit Feldspule. Die mächtigen Filtergehäuse von damals mit ihren klemmenden Bajonettverschlüssen und taubgewordenen Kreiskondensatoren sind aber einer schlanken Neukonstruktion gewichen, die heute nicht mehr regelmäßig instandgesetzt werden muß. Auf der Unterseite eine alte Bekannte: das Leutholdsche Dreibandfilter mit kontinuierlich-mechanischer Verstellung, an der Seite mit einer Tonblende kombiniert einstellbar. Auch im Inneren dieses Filters sind jetzt stabile (keramische) Kreiskondensatoren.  Die Papierkondensatoren im schwarzen, geteerten Hartpapierröllchen sind Vorkriegsteilen zum Verwechseln ähnlich, tragen aber zusätzlich eine "50" als Bezeichnung des Herstelljahres. SABA konnte offenbar auf noch geretteten Vorkriegsmaschinen diese Teile herstellen.

Aber es deuten sich bereits die ersten technischen Neuerungen an: Auf der Skala ist ein Streifen für UKW reserviert, auch auf der Rückwand wird UKW ein Platz am T.A.-Eingang reserviert. Die "Neue Welle" ist die Antwort darauf, dass die "Zonen" im Kopenhagener Wellenplan ultrakurz gekommen waren. Aber 1949 gab es erst einen einzigen UKW-Sender und die Industrie arbeitete noch an UKW-Empfangsgeräten, die alles enthielten außer einem NF-Verstärker und deshalb an der Rückwand angebracht Kontakt zur Phonobuchse halten mußten (z.B. SABA UKW Z).

Im NF-Teil des Kristall findet sich ein neuartiger Trafo zur (Gegen)kopplung, ein Schaltungsdetail, das auch in den Folgejahren in anderen SABA-Modellen mit Vorliebe genutzt werden wird.

Einzigartig beim SABA-Modelldesign dieses Jahrgangs ist die "knopffreie Frontseite" des Gehäuses. Eine fragwürdige Modeerscheinung, die in den Folgejahren sofort wieder verschwindet. Nicht nur Linkshänder unter den Kunden dürften dies begrüßt haben.

   

Erste Durchsicht

Äußerlich wirkt das Gerät komplett und in brauchbarem Zustand. Die Nachlackierung ist zwar mangelhaft, aber alle Bedienelemente sind beweglich, auch Rückwand und Netzanschluß sind vorhanden.  Selten anzutreffen, aber diesem Gerät lag der vergilbte und brüchig gewordene Originalschaltplan bei und zwei Reparaturrechnungen! Zuletzt waren 2015 für eine "Komplettüberholung+Röhre ECL11 und Potentiometer mit Schalter" 130 € von einem der Vorbesitzer an ein Radiofachgeschäft bezahlt worden und 2021 wurde noch eine neue EM11 von RFT eingesetzt. Also ein Gerät, dass bis vor kurzem noch genutzt worden sein muss?

Nun der spannende Moment, ein erster Blick ins Innere!

     

Auch ein erster Blick in das Gehäuse hinterläßt einen positiven Eindruck: Das Chassis wirkt komplett - alle Röhren und der Lautsprecher sind an ihrem Platz. Ein zweiter Blick fällt auf den fehlenden Friktionshebel am Drehko-Antrieb - wieder ein Neuzugang, bei dem dieser fehlt!   Das erwähnte Potentiometer ist zwar auch eins von RUWID, aber ohne den zusätzlichen Anschluss für die gehörrichtige Lautstärke. Alle Schutzkondensatoren an Wechselspannung wurden von Masse abgeknipst. Als Skalenseilersatz kommt Zwirn zur Anwendung. Für den fehlenden Friktionshebel wurde eine originelle, aber wie sich zeigt, unzureichende Lösung gebastelt, bei der leider der Wulst an der Antriebswelle abgefeilt wurde. Auch das große Reibrad aus Pertinax zeigt einen Schaden: ein Anschlagbegrenzer ist herausgerissen.

 
.jpg   iSABA_Kristall_W_tuning.jpg (Größe: 78,69 KB / Downloads: 583)

Neben Fachwerkstätten waren also auch begnadete Bastler am Werk.

Das Chassis läßt sich in wenigen Minuten ohne Lötarbeit aus dem Gehäuse nehmen. Hier zeigt sich, dass neue, aber zu hohe Gummipuffer zur Montage verwendet wurden. Im Ergebnis ist die UKW-Linie oben auf der Skala durch die Querleiste verdeckt.
Für einen ersten Eindruck stelle ich die Sabas meistens auf die Achsen der rechten Seite:

   

Man erkennt sofort Widerstände mit Ringcodierung, sowie einen modernen Klein-Elko. Ein schwarzes Teil im Untergrund entpuppt sich als verkohlter 30 k-Widerstand, der gerade noch Durchgang hat. Ein 50k-Widerstand hängt mit einem Bein in der Luft, ein 1M-Widerstand an der EM11 sieht sehr räudig aus und zeigt einen Widerstand von unendlich. So kann die neue EM11 nicht zufriedenstellend angezeigt haben. Eine erste Messung eines 0,1 uF zeigt eine erstaunliche Verdopplung der Kapazität an, so daß anzunehmen ist, daß eine sogenannte Kondensatorkur noch nicht stattgefunden hat.
Die Schaltebenen des Wellenschalters wurden leider mit einem falschen Reinigungsmittel getränkt, dass mühsam entfernt werden muß. Die Schaltfedern sind leicht grünspanig, haben sich aber durch Schaltbewegungen eine frische Spur in den Oxydbelag geschnitten.

   

Zwischen der letzten fachgerechten Reparatur und dem vorliegenden Befund hat sich das Gerät anscheinend in eine Dauerbaustelle verwandelt.
Im Allgemeinen sind ja solche - ich will nicht sagen verbastelten - Geräte nicht sonderlich beliebt.
Es empfiehlt sich, bei diesen Patienten erst mal ein akribischer Checkup auf der Grundlage des Schaltplans, bevor vorschnell eingeschaltet wird. Dem Originalschaltplan von SABA habe ich eine Bauteilnummerierung hinzugefügt:

   
 
Erste Lebenszeichen

Immerhin zeigt das Gerät, nur mit AZ11 ausgestattet, am Stelltrafo die ersten positiven Ergebnisse:
Das Netzteil ist durchgängig, die Gleichrichterröhre produziert Gleichspannung und die beiden Siemens-Elkos können belassen werden, auch die Feldspule erfüllt ihren Dienst als Siebdrossel. Ausgangstrafo und Lautsprecher sind durchgängig.
Den etwas rostigen GK-Trafo baute ich aus der Schaltung und habe ihn sicherheitshalber ausgemessen, die ohmschen Widerstände liegen bei 1,3 bzw. 1,5 K, ob das so stimmen kann, weiß ich nicht, jedenfalls sind die Wicklungen durchgängig. Obwohl es lt. Schaltung keine Hochvoltseite gibt, empfiehlt sich auch ein Glimmlampentest, der Aufschluß über die Isolation der Wicklungen gibt. Es handelt sich lt. Schaltplan um einen 654/XV, andere Typen anderer Saba-Modelle sind inkompatibel. Nach dieser Prüfung wurde der Trafo erstmal für gut befunden.

   

Vor weiteren live-Tests steht nun der Austausch der zahlreichen Papierkondensatoren an. Nach ein paar Kapa-Messungen entschied ich mich für einen Komplettaustausch, was leider eine mühsame Angelegenheit ist. Damit das Chassis weiter authentisch aussieht, will ich die  Originalhülsen weiterverwenden, was zusätzlich aufhält.  Einige Teile erfordern besonderes Augenmerk:
  • Der Klein-Elko 10 uF am T.A.-Eingang (C20) muß mit Plus an Masse, da die untere Phonobuchse negative Vorspannung führt
  • Der Koppelkondensator 5 nF (C16) vor dem Lautstärkepoti verfügt über eine Schirmung. Man kann dafür dünnes Kupfer-oder Messingblech zu einem Röhrchen über den neuen Kondensator rollen und verlöten, beide Enden des Kondensators auf einer Seite der Hülse herausführen, die Masse auf der anderen. Dann entspricht das Austauschteil dem Original und läßt sich auf kurzem Wege wieder einbauen.
  • Mehrere 0,1 uF und 5 nF-Kondensatoren sind als Doppelkondensatoren ausgeführt (Bauteilnr. 1404-7, 1402-73), der gemeinsame Masseanschluß ist auf einer Seite herausgeführt.
  • Vorsicht beim Einbau der neuen Kondensatoren an der Lautsprecherbuchse und am ECL11-Sockel. Hier liegen hohe Spannungen an, Zuleitungen isolieren und nach Einbau auf Kurzschlüsse prüfen!
  • Leitungsführung, Bauteilposition und Masseanschlüsse beim Teiletausch an der Endröhre unbedingt beibehalten. Die Verdrahtungen von Triode und Tetrode sind nicht durch Blechabschirmung getrennt.

Nach Abschluß des Teiletauschs steht als nächster live-Test die Gangbarmachung des NF-Verstärkers an. Dazu melde ich mich dann wieder.
Wird also fortgesetzt...
Viele Grüße, Karl-Heinz
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#2
Hallo Karl-Heinz,

danke für Deine ausführliche Dokumentation. Diese Radios kenne ich sehr gut. Leider will die keiner so recht haben. Dabei sind das im AM-Bereich sehr leistungsfähige Radios. Wie Du schon schreibst, findet man hier gewisse Fehler nicht mehr. Besonders in den Bandfiltern. Man muss die Keramikkondensatoren ja in jedem Vorkriegs-SABA eingehend prüfen und meist ersetzen. Hier erübrigt sich das.

Ich habe einige SABA-Schrottchassis hier stehen. Soll ich mal nach dem fehlenden Friktionstrieb suchen. Sicher wird sich da etwas finden. Auch die große runde Scheibe habe ich zuhauf.  Oder hat man das jetzt so verwurstet, dass Ersatz nicht mehr möglich ist?
Es grüßt Euch aus Peine
     
     Andreas
Nicht nur die Röhren sollen glühen.
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#3
Ich habe ein Juwel GW Schrottchassis, da ist die komplette Abstimmungsmechanik in Ordnung.

Wenn Du Interesse hast, kannste gegen Porto haben.
Beste Grüsse

Thorsten


"Das Leben ist nichts weiter als das Proben für eine Vorstellung, die niemals stattfindet."

(Die fabelhafte Welt der Amelie)
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#4
Hallo Andreas & Thosten,

lieben Dank für Eure postwendenden Angebote. Ich konnte inzwischen aus meinem Fundus eine gute Antriebswelle mit Lager und das große Reibrad auftreiben, habe sie inzwischen auch eingebaut und das Skalenseil aufgelegt.
Einen dieser verflixten Friktionshebel habe ich doch noch zu wenig, damit könntet Ihr mir aushelfen. Wenn ihr also was habt, per PN melden.
Viele Grüße, Karl-Heinz
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#5
Eine sehr ausführliche, gut gemachte Radiovorstellung Thumbs_up  .

Tatsächlich ist dies eine Baureihe, die sich nur geringer Beliebtheit zu erfreuen scheint, obgleich das Stilelement der knopflosen Skala in dieser Zeit etwas in Mode gekommen war. EMUD hatte Geräte dieser Bauform im Programm und Siemens zwischen 1950 und '52 gleich eine ganze Baureihe. Keiner hat diese Bauform allerdings so konsequent eckig produziert wie SABA, wenn man mal vom Triberg mit Bakelitgehäuse absieht.
Ein solches Gerät lief mir um 1988 mal am Straßenrand / Sperrmüll zu, und den Spermüll durfte man damals noch mitnehmen. Ich muß zugeben, daß ich diese Geräte bereits damals grottenhäßlich fand, nahm ihn also mit, und keine Stunde später wurde er geschlachtet, obgleich sein Gesamtzustand sicherlich ohne großen Aufwand eine Einfügung in die Sammlung erlaubt hätte.
_____________

Gruß
klaus


Was ich geschrieben habe, darf widerlegt werden.
Was ich nicht geschrieben habe, braucht nicht widerlegt zu werden.


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#6
Hallo Karl-Heinz,

danke für den detaillierten Beitrag.
Radios mit diesem "Standard-Röhrensatz" gab es viele
und zwar schon ab Ende der 30er Jahre.
Sehr viele davon waren in einer ähnlichen "Kiste" verbaut.
Ich wünsche Dir viel Spaß mit dem Gerät...

Viele Grüße,
Rolf
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#7
Hallo Rolf,
immerhin hast Du Spaß nicht in Anführungszeichen gesetzt. Bin jetzt mit dem Zwangsumtausch der Kapazitäten fast durch. Der Zustand der Papierkondensatoren ist miserabel. Ein paar Jahre in Garage oder kalt-feucht-heissem Dachraum geben ihnen den Rest.
Spaß macht mir schon zu sehen, wie schnell die Entwicklung in den frühen Fünfzigern vorangekommen ist. Ich habe noch den größeren Rekord, der nochmal herausholt, was die Vorkriegstechnik zu bieten hatte und mit dem es heute noch Spaß macht, Kurzwelle zu hören. Er ist so riesig, daß ein UKW SIII bequem Platz hat.

Hallo Klaus,
was die Gehäuseform angeht - für mich ist es historisches Design, mehr oder weniger erfolgreich. Um 1950 galt es wohl als Hersteller, mit einem Alleinstellungsmerkmal sich aus der Masse herauszuheben. Man hatte ja schon vorher am Markt vorbei produziert. Die Leute begannen, sich mit dem neuen Geld neu einzurichten und ein Radio sollte sich in die Innenarchitektur als wertiger Gegenstand einfügen. Hochglanzflächen in Nußbaum und Zierleisten passten eben dazu. Mal sehen, was Ihr sagt, wenn ich die Kiste wieder auf Hochglanz gebracht habe.

Was ich noch interessant finde, ist diese Umbruchzeit von AM auf FM. Dieses Radio ist so gebaut, daß UKW-Vorsatzgeräte kaum hineinpassen. In der Entwicklung war wohl angedacht, diese extern an der Phonobuchse anzuschließen und separat abzustimmen. Dafür war nur der Pendler SABA UKW Z im Programm.
Viele Grüße, Karl-Heinz
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#8
In der Funk-Technik von 1950 findet sich eine Abbildung für die UKW-Konfiguration (mit SABA UKW Z) beim Kristall:

   

Diese - ich nenne sie mal Rucksacklösung - hatte eine eigene Stromversorgung und der Nutzer mußte  noch tiefer nach rechts oben greifen, um den für UKW gedachten Abstimmknopf und den Einschaltknebel zu finden. Auf der UKW-Skala an der Front bewegte sich natürlich nichts. Eine best-breed-Lösung war das nicht...
Viele Grüße, Karl-Heinz
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#9
Bei radiomuseum.org findest Du Fotos, wie man in späteren Jahren trotz Platznot einen SABA UKW-Super erfolgreich ins Kristall-Gehäuse implantiert hat.
Dennoch ist es natürlich richtig, daß die Einrüstung eines UKW-Teils eher nicht im Lastenheft stand.
Es gibt sogar SABA-Typen dieser Jahre, da hat man in einer Werksschrift darauf hingewiesen, der Lautsprecher möge zwecks Einbau eines UKW-Teils versetzt werden, und es sei vorteilhaft, dazu gleich die komplette Schallwand neu zu fertigen.
_____________

Gruß
klaus


Was ich geschrieben habe, darf widerlegt werden.
Was ich nicht geschrieben habe, braucht nicht widerlegt zu werden.


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#10
Im Meersburg W (1950/51) hatte die Schallwand schon eine Ausfräsung, damit das UKW Teil problemlos auf dem AM Drehko montiert werden konnte.
Beste Grüsse

Thorsten


"Das Leben ist nichts weiter als das Proben für eine Vorstellung, die niemals stattfindet."

(Die fabelhafte Welt der Amelie)
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#11
Inbetriebnahme, die erste!

Zum ersten Start mit neuen Kondensatoren steht das Radio auf Stellung T.A. mit offenem Eingang, Lautstärke steht auf Null, Tonregler hat Rechtsanschlag, Bass-Schalter ist aus. Beim Hochfahren der Netzspannung am Stelltrafo erwacht das Radio um 150 Volt~ zum Leben und besteht einen ersten Brummtest, allerdings mit auffällig wenig Tiefen. Beim Hochdrehen der Lautstärke erklingt ein zunehmender sirenenartiger Heulton (ca 800 Hz), unabhängig vom Lautstärkeregler. Mist, die ECL11 frönt ihrer Leidenschaft und schwingt. Das tut sie noch heftiger, wenn am Tonregler gedreht oder der Bass-Schalter eingeschaltet wird. Bei 220 V~ breche ich den Versuch ab, um die Röhre nicht weiter zu martern - Inbetriebnahme erst mal gescheitert. 

Das Originalschaltbild muß jetzt ran, ist aber an der jetzt wichtigen Stelle um die ECL11 sehr unübersichtlich. Ich habe ein neues so angefertigt, so daß man Signalweg und Gegenkopplungspfade klarer sehen kann.

   

Signalweg:
Nutzsignal über C16 (5n) an Lautstärkepoti, Steuergitter Tr g1 direkt gekoppelt und mit -2,0V- vorgespannt, die Tr a koppelt über R20 und Gleichspannungsblock C23 an Primärwicklung GK, mit 1K UKW-Schwingschutzwiderstand an Tetr g1, es liegt -6,5V Gleichspannung an. Die Tetr A liefert Nutzsignal an die AT-Primärwicklung.

Gegenkopplungspfade:

Für die Gegenkopplung wird mittig am 9-kHz-L-C-Sperrfilter, das parallel zur Primärseite des AT liegt,  das verstärkte Nutzsignal abgegriffen und nach C28 als reine Wechselspannung über eine Verzweigung an die Sekundärwicklung des GK-Trafos gelegt. An dieser Stelle muß das Signal gegenphasig im Verhältnis zum Eingangssignal auf der anderen Wicklung sein, um als Gegenkopplung zu wirken. Unter ungünstigen Bedingungen kann es aber zur Phasenverschiebung und zu Mitkopplung und Schwingen kommen. Die Wirkung des ebenfalls die Phasenlage frequenzabhängig beeinflussenden R-C-Parallelkreises aus R27 und C26 ist mir hier nicht klar (soll die Resonanzfrequenz des GK gedämpft werden?).
Hinter C28 führt eine abgeschirmte Leitung zu einem zweiten Gegenkopplungspfad. Er koppelt über ein R-C-Netzwerk (R16, R17, R20) die beiden Anodenkreise der Verbundröhre. Die Frequenz wird durch ein schaltbares Filter (R15, C18) beeinflusst. Schaltet man dieses Filter aus, setzt die Schwingung ein oder wird massiv verstärkt.
Am Ausgang der Tr a hängt noch ein weiteres Element zu Klangbeeinflussung: der R-C-Serienkreis aus RV1 und C19 (Klangregler). Steht RV1 auf Rechtsanschlag, wird die Schwingung unterdrückt oder abgeschwächt. Dieses Verhalten legt nahe, das die Triode am (An-)Schwingen beteiligt ist. Ich hoffe, das ich die Wirkungsweise der Schaltung im Wesentlichen korrekt wiedergegeben habe.

Wie solls weitergehen?
Als nächstes möchte ich das Schwingen soweit abschwächen oder unterdrücken, daß die Gleichspannungswerte bei 220 Volt~  gemessen werden können.
Dann möchte ich per Oszilloskop untersuchen, wie die Schwingung einsetzt und welche Teile des Verstärkers beteiligt sind.


Gibt es von eurer Seite Vorschläge für das weitere Vorgehen?
Viele Grüße, Karl-Heinz
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#12
(16.04.2023, 12:38)audion schrieb: .... Beim Hochdrehen der Lautstärke erklingt ein zunehmender sirenenartiger Heulton (ca 800 Hz), unabhängig vom Lautstärkeregler. Mist, die ECL11 frönt ihrer Leidenschaft und schwingt....Gibt es von eurer Seite Vorschläge für das weitere Vorgehen?


Das ist ein sehr interessanter Bericht, Karl-Heinz. Eigentlich möchte man Dir gar keine Vorschläge unterbreiten, um Deine aufwendige und lehrreiche Fehlersuche zu Ende verfolgen zu können, denn das notwendige Knowhow für eine zielgerichtete Fehlersuche sowie Erfahrungen mit Röhrenradios bringst Du ja zweifelsfrei mit.
Von mir daher nur die 'Klassiker' aus jahrzehntelanger Reparaturpraxis:

Dieses Verhalten kenne ich eher von Radios mit defekter ECL86.  Daher ->
  • HF- und NF-Röhren über jeden Zweifel erhaben?
  • Alle Masseverbindungen an Chassis, Lsp. und LS-Poti noch intakt?
  • Und natürlich der ultimative Klassiker:  Im Zuge der Reparatur selbst fabrizierte Fehler, z.B. durch falsches Anlöten ersetzter Kondensatoren. Ist natürlich zumeist am schwierigsten zu finden.
_____________

Gruß
klaus


Was ich geschrieben habe, darf widerlegt werden.
Was ich nicht geschrieben habe, braucht nicht widerlegt zu werden.


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#13
Hallo Klaus,

danke für Feedback und Tips. Die Röhre hat sich als ok. erwiesen, sie tut es auch in einem anderen Gerät. Ob der "Klassiker" zugeschlagen hat, wird sich noch herausstellen, ich bin mit der Nachprüfung noch nicht ganz durch. Inzwischen kann ich das Gerät bei voller Netzspannung betreiben. Die Schwingungen konnte ich mit einem workaround unterdrücken. 

So gings weiter:

Schwingungsunterdrückung gelang weitgehend durch Parallelwiderstand 1 kOhm an der Sekundärwicklung des GK-Trafos. Leichtes, höherfrequentes Schwingen jetzt nur noch bei gezogenem Bass-Schalter. Das soll aber wieder zurückgenommen werden, sobald die Ursache herausgefunden ist.

   

Zwischen Fassung ECH11 und der Trimmerleiste in gelbem Isolierschlauch eingequetscht befindet sich der Rückkopplungskondensator C8. Oberhalb sind die Leistungsvorwidwerstände (R6 und R11a) für Anoden und Schirmgitter. Der R6 wurde als verkohltes Teil vorgefunden und ersetzt.  Nach dem Einschalten wurde auch das Ersatzteil zu warm, obwohl die ECH11 gezogen war. Der Rückkopplungskondensator (C8) des Oszillators war die Ursache.

   

Nach Austausch bleibt R6 kalt und der Oszillator springt an. Das Gerät läuft auch tagsüber erstaunlich gut auf Kurzwelle! Die EM11 wird voll ausgesteuert und flackert im Takt des NF-Signals. Der C12 mit 0,01 uF ist neu, bekommt die Spannung zusammen mit R12 aber nicht ausreichend konstant. Vermutlich ist das normal, weil viele AM-Sender aus Kostengründen die Amplitude dynamisch steuern (DAM bzw. DCC). Auf T.A. ist der Höreindruck ausgewogen, die Tonblende funktioniert jetzt einwandfrei.

Nachdem nun der Empfang in Betrieb ist,  bin ich dabei, die Komponenten der NF-Schaltung Stück für Stück zu prüfen. Ich vermute ein fehlerhaftes Teil oder tatsächlich den "Klassiker", Austauschteil in einem der Gegenkopplungszweige falsch ankontaktiert. Die Messung der Spannungen ergab keine signifikanten Abweichungen. Die gefundenen Werte werde ich in das Detailbild eintragen.
Viele Grüße, Karl-Heinz
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#14
...abschließende Notiz:

Das Problem mit dem wilden Schwingen der NF-Stufe ist inzwischen gelöst: eine gut erhaltene TFK ECL11 zeigt das beschriebene Schwingverhalten nicht! Der workaround am GK-Trafo konnte zurückgenommen werden.

Bei 2 weiteren ECL11, die ich in der Schaltung getestet habe, kam es zu hochfrequenten Pfeifstörungen. Andererseits waren diese Röhren und die Röhre aus dem Kristall in anderen Geräten unauffällig.
Vermutlich tragen innere Röhrenkapazitäten zu diesem Aufschaukeln bei.
Viele Grüße, Karl-Heinz
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