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Graetz 160W: Zurück im Leben
#1
Liebe Radiofreunde,

heute möchte ich, angeregt durch den Bericht unseres Radiokollegen Detlef (Radionar) vom Graetz 158 GW, Euch mal das preiswerte Einstiegsmodell des Modelljahrgangs 1952/53 vorstellen, den Typ "160W":

   

Dieses Gerät wollte ich, angeregt durch meinen Radiohandelskatalog aus diesem Jahr, immer schon mal haben, da mir die Form gefiel, zugleich seine Ausstattung als frühes UKW-Gerät. Indes waren mir die bisherigen eb..-Angebote zu "heftig" in Anbetracht des Zustands der dort oft dargebotenen Ruinen.

Erst mal zu den wichtigsten Daten:

- Edelholz
- Wellenbereiche UKML+TA
- 6 Kreise AM, 9 Kreise FM (Ratiodetektor, UKW-Röhre: ECC81)
- keine Tasten, 1 seitl. Drehregler zur Klangkorrektur
- 1 Lautsprecher, 180 mm
- Röhren: ECC81, ECH81, EF85, EABC80, EL41, AZ41, EM34
- Katalogpreis: 288,- DM

Das Gerät gab's als Allströmer mit der Bezeichnung "161GW" und daselbst mit deutlich größerem Lautsprecher. Verstehe, wer will.
Insgesamt in Anbetracht der damaligen Konkurrenten fast ein "Geheimtipp", da es bereits ein für diese Zeit in dieser Preisklasse gutes UKW-Teil bot (die Konkurrenz hatte da oft weniger Kreise oder schlicht noch Flankengleichrichter), dazu imageträchtiges Edelholzfurnier sowie 4 Wellenbereiche und Magisches Auge.

Von der Vorgängerserie hatte man die Optik (tastenlos) übernommen. Die teureren Geräte der Serie, 162W und 163W kamen bereits mit Gebiss, ebenso der Nachzügler 164W.


Das Gerät konnte ich für gut 10 (!) Euro bei eb.. erstehen. Reichlich bebildert, zu sehen war u.a. ein großer Fleck im Stoff: dazu der Hinweis des Verkäufers, dass alle Röhren fehlten (diesmal war sogar das MA herausgeklaubt). Ebenso war das Netzkabel abgeschnitten. Einige Bestoßungen hatte das Gerät, insgesamt wirkte es aber sauber, unverrostet und gepflegt, sogar die Rückwand war vorhanden.

Nun blieb der Versand. Der Verkäufer verlangte etwas mehr als den üblichen Standardpreis, aber: ich habe noch nie (!) ein so gut verpacktes Radio gesehen. Das wäre expeditionstauglich gewesen. Donnerwetter.

Ich entschied mich gegen abbeizen, neu lackieren etc.; stattdessen wurde gereinigt und getupft. Der Stoff musste eine heftige Behandlung mit Javel über sich ergehen lassen, da der Fleck groß und hartnäckig war. Leider bleicht das den Stoff insgesamt etwas.
Das Ergebnis kann sich dennoch als "wohnzimmertauglich" sehen lassen. Ein bißchen Alter darf bleiben, nach 62 Jahren:

   

   

    .


Im nächsten Beitrag geht's weiter.

k.

late edit: Tippfehler
_____________

Gruß
klaus


Was ich geschrieben habe, darf widerlegt werden.
Was ich nicht geschrieben habe, braucht nicht widerlegt zu werden.


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#2
Teil 2: die Reparatur

Ich betone das Wort "Reparatur", denn es handelt sich hier bewusst nicht um eine "Restaurierung".

Das Gerät lief mir Ende November letzten Jahres zu, seine Instandsetzung hat mir Freude gemacht. Ein "gutes Radio". Smiley53

Was auffiel war, dass alle Röhren sorgfältig gezupft waren, aber die Halterung des MA wieder ordentlich verschraubt worden war UND dennoch der Abschirmbecher der ECC81 wieder an seinen Platz gesteckt worden war. Zudem wie gesagt Rückwand + Lautsprecher vorhanden.
Sowas spricht nicht für einen Sperrmüllfund, wo schnell alles vermeintlich Werthaltige herausgerissen worden war.

Nach Chassisausbau tauschte ich zunächst alle kritischen Kondensatoren im Bereich Netzteil und Endstufe und kontrollierte dort Verkabelung und Widerstände. Letzteres sah gut aus. Dann schloss ich ein Netzkabel an und suchte den Röhrensatz aus meinem Bestand.
Dies diente der vorläufigen Sachstandsermittlung, denn irgendwie schwante mir, dass es einen Grund haben musste, dass das Gerät nach dem Röhrenzupfen noch sorgfältig behandelt worden war. Ein Sammler-Ersatzteilspender?
Dann sollte irgendwo vielleicht ein größeres Problem warten...Idea

Hier zunächst einmal ein Blick aufs Innere, nach erfolgter Reparatur:

   


Nach Spannungszugabe über den Trenntrafo ging dann auch das Licht an, aber es "bitzelte" vernehmlich. Natürlich hatte ich, in Anbetracht der AZ41-Misere (unterschiedliche Pin-Belegungen, je nach Hersteller !) geprüft, dass da nichts anbrennen konnte.

Und zwar knisterte es aus dem Bereich des Trafos. Das ist nicht gut.
Sofort abgeschaltet und die Abgangskabel des Trafos (sekundär) abgelötet, so dass der Kamerad im Leerlauf arbeiten konnte.
Es knisterte weiter und das Teil wurde sehr schnell brüllend heiß.
Wahrscheinlich Windungsschluss.

Nun kommen wir zu meiner Einlassung oben, 'Reparatur statt Restaurierung'. Wir haben hier ein Einstiegsmodell im Mittelklassesegment vor uns. Natürlich kann man nun Originalteilesuche betreiben und zwischenzeitlich das Gerät vielleicht für Monate ins Reparaturregal stellen.
Sicherlich passt auch der Trafo eines Graetz aus der 150er-Serie.
Aber mir war an einer Reparatur mit den zur Verfügung stehenden Mitteln gelegen. Unter der Maßgabe, dass nichts versaut wird, d.h. alles rückbaubar bleibt. Falls einem mal ein Schlachtradio in die Hände fällt.
Außerdem mag ich die AZ41 nicht wirklich.

Da gibt es sicherlich unterschiedliche Sichtweisen, und wer ausschließlich einen hunderteinsprozentigen Originalzustand eines Geräts anstrebt, wird höflichst gebeten, ab nun beim Lesen des Beitrags die Augen zu schließen. Big Grin


Was musste der (neue) Trafo können ("Lastenheft")?

- Heizspannung 6,3 V für die genannten Röhren
- Heizspannung 4 V für die Gleichrichterröhre
- 2 Anodenwicklungen für die Gleichrichterröhre
- vom Kern her in die Befestigungsbohrungen des Chassis passen
UND

-> das da:

   

Ja, das hat Graetz bis Anfang der 50er verbaut: die Lizenz zum Stromsparen Smiley26
Sozusagen aus heutiger Sicht ein früher Trendsetter in Sachen Energiesparen.
Und etwas, das verkomplizierend wirkt, da die beiden Anodenspannungswicklungen noch einen Abgriff benötigen, seht selbst:

http://radio.mijnwijkapp.nl/Graetz_160W.pdf

Sowas zu reparieren reizt durchaus, da man nachdenken muss, wie man mit nicht-originalen Teilen möglichst viel erreicht.

Heraus kam das:

   

Der Trafo einer geschlachteten 66er Graetz Silvretta 12C lag hier vor Ort rum, d.h. ich musste nicht warten, bis ich mal wieder in einem meiner entfernt liegenden Lager bin.
(Die Silvretta ist ein Hybrid, sie hatte mich fortwährend geärgert, ein "schlechtes Radio" Wink , deshalb ging sie in die Schlachtung).
Beim Vergleich der sehr unterschiedlichen Röhrensätze kommt man zu dem Schluss, dass die abgeforderte Leistung der Trafos ("Last") vergleichbar ist.

Indes hat der Silvretta - Trafo nur 1 Anodenwicklung und keine 4V - Heizwicklung. Und erst recht keine Sparschaltung. Letzteres wurmte ein wenig.

Der neue Trafo ließ sich perfekt montieren, es passte mechanisch alles auf Anhieb. Natürlich wurde die Sicherungsplatte mitsamt ihrer Spannungsumschaltung vom Alttrafo übernommen.
Die AZ41, von der ich ohnehin nicht viele habe und die ich wg. der Pinbelegungsproblematik nicht sehr schätze, entfiel.
Ihre Fassung eignete sich hervorragend zur Aufnahme eines zeitgenössischen AEG-Selengleichrichters (einfach einstecken, sitzt perfekt fest). Die 4 Anschlusskabel lassen sich durch das Mittelloch der Rimlockfassung führen und an den Anschlussösen der Fassung als Lötpunkt nutzen.
Und: bei mir werden auch die primärseitig angebrachten Kondensatoren (2x 5nF) wieder in meinen Geräten angebracht.
Hier tun 2 Scheibenkondensatoren von 10 nF mit einer Spannungsfestigkeit von 3kV ihren Dienst. Sollte halten. Wink

Optisch ist es jetzt zwar nicht original, aber auf den 1. Blick stimmig, wie ich meine.


Funktionsprobe:
Das funktionierte auf Anhieb ordentlich, die Spannungen lagen etwas zu hoch. Ein Tribut an die 235 - 237 Volt heutige Netzspannung, die hier vor Ort anliegen. Indes war bei Umschaltung auf die 240 Volt-Anzapfung das Ganze etwas "grenzwertig". Als Lösung wählte ich einen hochbelastbaren Widerstand (4 Watt) in der Primärzuleitung, luftumfächert angebracht, auch nicht jedermanns Geschmack. Er schluckt rund 10 Volt Primärspannung, so dass wir mit der 220V-Stellung jederzeit gut hinkommen.

Indes überzeugte das Ergebnis, als das Gerät endrepariert und abgeglichen war. Vorweg gesagt: ein absolut wohnzimmertaugliches Gerät mit angenehm-warmem Klang.

Die fehlende EM34 wurde durch eine gebrauchte russische 6E5 substituiert, die Fassung musste hierzu umgelötet und um ca. 90 Grad gedreht werden. Im Betrieb einfach nur schön, da das Auge prominent in der Schallwand sitzt, ein eyecatcher.

Bleibt die Sparschaltung, denn ein funktionsloser Ziehknopf, das mochte nicht schmecken. Da fand sich eine Lösung.

Mehr dazu an anderer Stelle. Erstmal Platz für andere Meinungen.

Gruß
k.

late edit: Tippfehler
_____________

Gruß
klaus


Was ich geschrieben habe, darf widerlegt werden.
Was ich nicht geschrieben habe, braucht nicht widerlegt zu werden.


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#3
Hallo Klaus Smile

Vielen Dank für Deinen interessanten Bericht. Mir gefällt Dein gebissloses Graetz auch sehr gut (obwohl ich gar nix gegen
"Gebiss"~Tasten hab) Blush Deinen Bericht habe ich gelesen, und finde es interessant, daß das Radio original eine Spar~
Schaltung hatte. Ein Glück, daß Du von dem Silvretta~Radio noch einen anderen Trafo finden konntest. Und wenn damit
Dein Graetz 160W funktioniert, ist es ja super, finde ich. Mir wäre die Sparschaltung auch zweitrangig gewesen. Trotzdem
ein interessantes Thema. Vielleicht kann jemand in einem neuen Thread darauf eingehen (?).

Prima, wie Du mit vorhandenen Mitteln die Technik adaptieren konntest, und das Radio nun spielen kann => Klasse Thumbs_up

Beste Grüße, von Peter
~~~~~ DE - MV  /  Connected ~~~~~
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#4
Hallo Klaus

das ist mal wieder ein Klasse Bericht von deinem Graetz Thumbs_up Also, gegen solche Umbauten habe ich überhaupt keine Einwände. Ich gehe da genau so vor und bediene mich an den Teilen, die vorhanden sind. Auch wenn das auf den ersten Blick vielleicht komisch aussieht.
Da wird es von mir demnächst noch einen schönen Bericht eines Blaupunkt 5W649M geben. Auch da habe ich umgestrickt, weil es einfacher war und ich keine Originalteile besaß.

Woanders ( Namen nenne ich hier nicht ) wird man tüchtig belehrt und auf den Frevel hin gewiesen.

Ich mag solche Umbauten und vor allem, weil das Radio nun wieder spielt und dazu noch wunderschön aussieht.
Radiogrüße Detlef

Sie können schlafen gehen, es gibt nichts mehr zu sehen
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#5
Hallo Klaus,

vielen Dank für Deinen Bericht, der sich wieder einmal locker-flockig liest. Solche Instandsetzungen sind für mich vollkommen in Ordnung und immer noch besser, als wenn ein an sonsten doch gut erhaltenes Gerät den Weg alles Irdischen gehen würde...Thumbs_up
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#6
Freut mich, dass es den bisher hier Schreibenden gefallen hat.

Die "Sparschaltung".
Da habe ich getrickst, um nicht zu sagen: ein Potemkin'sches Dorf errichtet.

Zieht man am Knopf, so passiert das, was gemeinhin durch den Radiohörer beim Einschalten einer Originalsparschaltung wahrgenommen werden kann:
- das Mag. Auge wird dunkler
- Lautstärke und Empfang gehen zurück
- der Sender muss nachreguliert werden.
- die Skalenbeleuchtung bleibt aber unverändert, da die Heizspannung nicht verändert wird.

Die Sparschaltung sollte ja bei vermindertem Wattverbrauch ein Radiohören von stark einfallenden Sendern bei Zimmerlautstärke nach wie vor gestatten. Also etwas, das einem Großteil der Hörer, die stets ihren Stammsender hörten, durchaus entgegen kam.

Ich habe nun wie folgt getrickst, denn eine echte Sparschaltung haben wir damit nicht mehr:
Ich habe an dem noch vorhandenen Zugschalter einen Widerstand von 1,8k (empirisch ermittelt) angebracht, Belastbarkeit 4 Watt. Der Widerstand sitzt in der Anodenspannungsleitung des Trafos, noch vor dem Gleichrichter.
Zieht man den linken Knopf, so ist der Widerstand aktiv -> eine verringerte Anodenspannung fließt zum Gleichrichter und danach ins Radio.
Drückt man den Knopf, d.h. geht in den Normalverbrauchsmodus, so wird dieser Widerstand durch den Schalter gebrückt -> die volle Anodenspannung fließt.

Ein Taschenspielertrick, der dem Bediener die volle Funktionalität illusioniert.

Ich brauche die Stromsparschaltung nicht wirklich und habe sie auch an meinem 163W nicht in Betrieb. Ein Zugknopf ohne Funktion stört mich aber. Smiley59

k.
_____________

Gruß
klaus


Was ich geschrieben habe, darf widerlegt werden.
Was ich nicht geschrieben habe, braucht nicht widerlegt zu werden.


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